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- Falk Borgmann
Seit einigen Monaten gibt es nun die europäische Cloudinitiative GAIA-X, die sich Ende 2020 offiziell als gemeinnütziger Verein nach belgischem Recht (AISBL) konstituierte. Angetrieben und unterstützt von den jeweiligen Ministerien sammelten sich jeweils elf Organisationen aus Deutschland und Frankreich, um das Vorhaben in einer Gründungsinitiative auf den Weg zu bringen. In Deutschland leistete das Bundeswirtschaftsministerium diese Anschubhilfe inklusive einer ersten finanziellen Unterstützung.
Was mit 22 Unternehmen begonnen hat, ist in den vergangenen Monaten zu einer beachtlichen Gruppe von unterschiedlichen Organisationen herangewachsen. Über 300 sind es aktuell, die sich in verschiedenen Arbeitsgruppen mehr oder weniger intensiv beteiligen. Dabei handelt es sich um Unternehmen, Institutionen, aber auch um Verbände, von denen 159 bereits dem neuen Verein seit der ersten Stunde angehören.
Kaum ist das Vorhaben etwas mehr in den öffentlichen Fokus gerückt, beginnen auch schon die Diskussionen um dessen Sinnhaftigkeit. Stein des Anstoßes ist die Beteiligung von Firmen wie Alibaba, Huawei, Google oder IBM/RedHat. Denn genau diese Firmen stehen für das, was man eigentlich nicht in GAIA-X haben will: mangelnde Transparenz der Services und vor allem kein Datenschutzverständnis, das einem europäischen Standard entsprechen würden.
Auf den ersten Blick ist es auch schwer nachvollziehbar, wie neues Gras wachsen soll, wenn man den Bock zum Gärtner macht. Und in der Tat kann man diesen Punkt vortrefflich diskutieren. Jedoch sollte man das generelle Ziel von GAIA-X und die real existierenden Rahmenbedingungen vorher sachlich beleuchten, bevor man sich ein Urteil erlaubt und seine Meinung in den sozialen Medien verbreitet.
Beginnen wir mit dem, was GAIA-X will:
• Vorhandene Infrastrukturen und IT-Technologien nach europäischen Compliance-Maßstäben nutzbar zu machen.
• Dazu gehören potenziell auch alle Organisationen und Unternehmen dieser Welt, die sich den durch GAIA-X zu definierenden Regeln und Standards unterwerfen.
• Aufbau einer transparenten und offenen Community, um diese Regeln und Standards zu verwalten, zu monitoren bzw. diese auch durchzusetzen.
GAIA-X soll nicht:
• eine eigene europäische Cloud anbieten oder herstellen,
• Protektionismus betreiben und den Zugang zu einem (digitalen) europäischen Markt für z. B. US-Unternehmen beschränken,
• Technologien oder Innovationen aus anderen Ländern per se ausschließen.
Aus meiner Sicht ist der wichtigste Punkt, dass keine eigene Europa-Cloud erschaffen werden soll. Wenn es einfach wäre, eine Europa-Cloud zu implementieren – mit umfassenden technischen Angeboten, wie sie beispielsweise AWS anbietet – hätte das vermutlich längst jemand getan. Und welche von den großen IT-Firmen könnte das in Deutschland oder Europa überhaupt leisten? Vielleicht die Telekom, die im Cloudgeschäft selbst in Deutschland nur eine kleine Nische ausfüllt? Oder SAP, die mit HANA auf das Gegenteil von „Cloudtechnologie“ setzt? Oder gar die Bundesregierung, die seit fünf Jahren erfolglos versucht, ihre eigene IT für mittlerweile 3,5 Milliarden Euro in den Griff zu bekommen? Vielleicht auch alle drei zusammen, die es immerhin geschafft haben, eine Corona-App für circa 15 Millionen Euro zu entwickeln und anschließend für etwa drei Millionen Euro pro Monat zu betreiben und zu warten? Angesichts dieser Realitäten sollte man doch eigentlich froh sein, dass Europa nicht versucht, eine eigene Cloud aufzustellen. Dabei gibt es neben den bekannten Unternehmen vielversprechende Protagonisten aus Europa, die schon ernst zu nehmende Aktivitäten in diese Richtung vorantreiben. Wenn es um solche Konzepte geht, wäre es vielleicht ein Ansatz, nicht immer reflexartig an die Firmen der „Old-IT-Economy“ zu denken.
Eine eigene Europa-Cloud wäre ein Versuch, der aus mehreren Gründen an der Realität scheitern würde. Auf der einen Seite stünde die Frage der Finanzierung und des Zeithorizonts. Das Unterfangen einer ernst zu nehmenden Cloud-Alternative würde Investitionen in Milliardenhöhe und einige Jahre Realisierungszeit erfordern. Wir befinden uns nicht in einer Singularität, deshalb stünde die Zeit während eines Aufbaus nicht still. Unternehmen in den USA oder China täten uns sicher nicht den Gefallen, mit der Weiterentwicklung ihrer Cloud-Technologien und -Angebote zu warten, bis Europa endlich nachzieht. Und viele Unternehmen könnten sich bei ihrer individuellen IT-Strategie wohl eher nicht die Zeit lassen, auf eine adäquate Antwort Europas zu warten, während die Unternehmen gleichzeitig vom Wettbewerb abgehängt würden.
Von daher ist Europa gut beraten, nicht zu versuchen, die Technologie-Außengrenzen im globalen Wettbewerb einfach zu schließen. Der GAIA-X-Ansatz, die Infrastrukturen und Innovationskraft der US-Konzerne nicht per Design auszuschließen, sondern lieber sinnvoll anhand neuer Spielregeln zu integrieren, ist daher meines Erachtens die einzige Alternative. Deshalb geht das Projekt in diesem Punkt auch einen validen Weg. Ob aber das gesteckte Ziel auch wirklich erreicht wird, steht auf einem ganz anderen Blatt. Sofern es den Technologiegiganten aus den USA und China nicht gelingt, die zu erstellenden Data-Privacy- und Data-Souvereignity-Regularien zu verwässern, wird mit GAIA-X eine neue Qualität für Datenservices entstehen.
In der Satzung des Vereins wird übrigens zwischen europäischen und nichteuropäischen Mitgliedschaften differenziert. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass nichteuropäische Akteure auch nicht über ein volles Stimmrecht bei wichtigen vereinsinternen Entscheidungen verfügen. So können Schlüsselpositionen ausschließlich durch Mitarbeiter von europäischen Unternehmen vorgeschlagen und besetzt werden. Weiterhin ist es den Nichteuropäern untersagt, bei möglichen Satzungsänderungen ihr Votum abzugeben. Von daher ist man an dieser Stelle durchaus mit etwas mehr Weitsicht in die aktive Phase gestartet, als es der breiten Öffentlichkeit bekannt ist.
Last but not least bleibt dennoch ein Risiko, nämlich das der schieren Anzahl von Mitstreitern bei diesem Vorhaben. Jeder weiß, dass eine Besprechung mit mehr als fünf Personen immer dann anstrengend wird, wenn wirklich inhaltliche Arbeit erforderlich ist. Ob es der GAIA-Verein mit mehreren Hundert Vertretern schaffen wird, sich so zu organisieren, dass effizient und zielführend gearbeitet werden kann, bleibt abzuwarten. Hier muss der Spagat gelingen, niemanden auszuschließen, aber am Ende dennoch ein wettbewerbsfähiges Ergebnis vorzuweisen, das nicht durch Kompromisse und interessengesteuerte Einflussnahme völlig zerfasert ist.
Abschließend bleibt eine Hoffnung, nämlich dass GAIA-X ein Erfolg wird – im Sinne Europas. Und man kann all den Nörglern und Besserwissern nur ans Herz legen, sich lieber aktiv in das Projekt einzubringen, anstatt den nächsten Weltuntergang zu prophezeien.